Wenn der Verfassungsschutz selbst zur Blackbox wird
Eine kritische Analyse des Verfassungsschutzberichts 2024
28.280 Islamisten in Deutschland. 9.540 davon gewaltorientiert. So steht es im neuen Verfassungsschutzbericht 2024 – frisch veröffentlicht vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Beeindruckende Zahlen, möchte man meinen. Doch wer genau hinsieht, entdeckt: Dort, wo es um die gefährlichsten Organisationen überhaupt geht – IS und Al-Qaida – findet sich nur ein lapidarer Vermerk: „keine gesicherten Zahlen“.
Zum dritten Mal in Folge. Und das im Jahr 2025.
👉 Hier der Bericht im Original: Verfassungsschutzbericht 2024 (PDF)
Ein Frühwarnsystem ohne Zahlen?
Der Verfassungsschutz versteht sich selbst als „Frühwarnsystem“ der Demokratie – so steht es gleich zu Beginn des Berichts. Doch wie soll eine Sicherheitsbehörde warnen, wenn sie offenbar nicht einmal Schätzwerte zu IS und Al-Qaida liefern kann oder will?
Während zum „salafistischen Personenpotenzial“ präzise Zahlen genannt werden (2024: exakt 11.000 Personen), wird bei IS und Al-Qaida erneut mit „keine gesicherten Zahlen“ ausgewichen (S. 204, Tabelle zum Islamismuspotenzial). Es stellt sich die berechtigte Frage:
Weiß der Verfassungsschutz wirklich nichts – oder will er nichts sagen?
Weisungsgebunden und politisch abhängig
Was viele nicht wissen: Das BfV ist nicht unabhängig. Es untersteht direkt dem Bundesinnenministerium und ist damit weisungsgebunden. Das bedeutet: Politisch unbequeme Entwicklungen könnten einfach aus dem Bericht herausgefiltert oder relativiert werden.
Die Beobachtung von politischen Parteien (wie der AfD als „Verdachtsfall“) erfolgt unter großer medialer Begleitung und mit detaillierten Zahlen. Gleichzeitig bleiben die Strukturen internationaler Terrorgruppen wie IS oder Al-Qaida im statistischen Nebel. Warum?
Verfassungsschutz als politisches Instrument
Der Bericht hat nicht nur informativen Charakter. Wer darin namentlich erwähnt wird, riskiert konkret etwas:
- Verlust der Gemeinnützigkeit (§ 51 Abs. 3 AO)
- Stigmatisierung durch öffentliche Nennung
- Grundrechtseingriffe ohne richterliche Überprüfung
Zudem werden Begriffe wie „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung“ so dehnbar verwendet, dass auch regierungskritische Proteste schnell in den Fokus geraten können – unabhängig von tatsächlicher Gefährlichkeit.
Kritik an der Methodik
Der Bericht selbst räumt ein: Viele Zahlen beruhen auf Schätzungen. Der Begriff „gewaltorientiert“ umfasst alles von „gewaltbereit“ bis „gewaltunterstützend“. Konkrete Belege? Fehlanzeige. So entsteht ein Zahlenkonstrukt, das politisch genutzt, aber kaum unabhängig geprüft wird. Und obwohl das BfV mit dem „Zentrum für Analyse und Forschung (ZAF)“ angeblich wissenschaftlich arbeitet, bleibt unklar, welche externen Stellen beteiligt sind – oder ob hier nur intern im eigenen Kreis „evaluiert“ wird.
Forderung nach Transparenz
Wenn der Verfassungsschutz die Demokratie schützen will, darf er sich nicht selbst zum blinden Fleck machen. Die Öffentlichkeit hat ein Recht zu erfahren:
- Welche Daten über IS und Al-Qaida tatsächlich vorliegen.
- Warum keine Zahlen genannt werden.
- Ob es politische Gründe für diese Intransparenz gibt.
Dazu habe ich eine IFG-Anfrage an das Bundesamt für Verfassungsschutz und das Bundesinnenministerium gestellt. Sobald Antworten vorliegen, werde ich hier berichten.
Zur AfD im Bericht
Die Analyse des Verfassungsschutzberichts 2024 zeigt deutlich, dass die Darstellung der AfD (Alternative für Deutschland) weniger einem objektiven Sicherheitsrisiko, sondern eher einem politischen Framing dient. Hier die wesentlichen Anhaltspunkte aus dem Bericht:
1. Systematische Rahmung der AfD als Gefahr
Der Bericht widmet der AfD ein ganzes Kapitel von über 20 Seiten (S. 101–123) – weit mehr als jeder anderen Oppositionspartei oder sogar gefährlichen Auslandsterrorgruppe wie IS oder Al-Qaida.
Bereits auf Seite 101 heißt es: „Die Gesamtpartei Alternative für Deutschland (AfD) wird seit dem 12. März 2021 als Verdachtsfall geführt.“
Das bedeutet: Die Partei wird in ihrer Gesamtheit nachrichtendienstlich beobachtet, auch wenn sie in allen Parlamenten vertreten ist.
2.Politisch aufgeladete Begriffe statt Sicherheitsargumente
Der Bericht benutzt durchgehend unscharfe, politisch interpretierbare Begriffe wie:
- „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung“
- „relativierende Aussagen zum Nationalsozialismus“
- „verschwörungsideologische Erzählungen“
- „Reproduktion rassistischer Narrative“
Diese Begriffe sind nicht juristisch eindeutig, sondern ideologisch auslegbar – und ermöglichen damit eine sehr weite, politische Deutung.
3. Fehlender Bezug zu konkreten Gefahren
Während man bei anderen Extremismusformen konkrete Gefahren (Anschlagspläne, Gewaltakte, Terrorfinanzierung) benennt, bleibt die Argumentation zur AfD ausschließlich rhetorisch:
„Es bestehen tatsächliche Anhaltspunkte, dass die AfD ein geschlossenes rechtsextremistisches Gedankengut toleriert und befördert.“
Es fehlt jeder Beleg für konkrete Gefährdung der öffentlichen Sicherheit – der Fokus liegt auf Aussagen, Debatten, Positionierungen.
4. Verweis auf „politische Wirkung“ statt Bedrohungslage
Mehrfach betont der Bericht, dass die Wirkung der AfD auf das Vertrauen in den Staat gefährlich sei. Beispiel:
„Aussagen der AfD zielen darauf ab, staatliche Institutionen zu diskreditieren und in ihrer Legitimität zu erschüttern.“
Das ist kein Sicherheitskriterium, sondern eine politische Bewertung – wie sie auch auf viele oppositionelle Bewegungen zutreffen könnte.
5. Vergleich zu IS/Al-Qaida verdeutlicht das Missverhältnis
Thema | Seiten im Bericht | Konkrete Zahlen | Juristische Grundlage |
AfD | ca. 22 Seiten | detaillierte Personen- und Strukturdarstellungen | „Verdachtsfall“ |
IS & Al-Qaida | ca. 2 Seiten | keine gesicherten Zahlen | Terror-Organisationen |
➡️ Klartext: Eine Oppositionspartei wird ausführlich analysiert – während zu zwei international gelisteten Terrororganisationen keinerlei belastbare Daten vorliegen.
Fazit: Der Verfassungsschutz als politisches Steuerungsinstrument
Der Verfassungsschutzbericht 2024 macht deutlich:
- Der Fokus liegt nicht auf konkreten Gefahren, sondern auf Diskurskontrolle.
- Die AfD wird politisch bewertet – nicht sicherheitsrelevant analysiert.
- Die Weisungsgebundenheit des BfV unter dem Bundesinnenministerium schafft einen strukturellen Interessenkonflikt.
In Kombination mit juristisch unklaren Begriffen und dem auffälligen Missverhältnis zur Darstellung echter Terrorgefahren entsteht der Eindruck:
Hier geht es nicht um Schutz der Verfassung – sondern um Schutz der Regierung vor der Opposition.